Nie wieder? NIE WIEDER!

Wolfgang Dietrich - BO DIE LINKE.Strasburg (Um.)

Der 8.Mai 1945 ist der Tag des Sieges der Alliierten, zu dem die Sowjetunion und ihre Rote Armee in höchstem Maße beigetragen haben. Der 8. Mai mahnt uns, der Millionen Opfer, die erbracht werden mussten, ehrend zu gedenken.

Er markiert die historische Tatsache der Rettung der Menschheit vor der faschistischen Barbarei und wurde damit zur bedeutendsten Kulturtat in der jüngeren Geschichte. Dieser Tag darf nicht den Geschichtsfälschern überlassen werden. Er war Befreiungsschlag und Neubeginn  für das in Trümmern liegende Deutschland und Europa. Die „Stunde Null“ markierte den Neuanfang eines ganzen Kontinents. Die Menschen rangen ums nackte Überleben, viele suchten eine neue Heimat. Deutschland, Europa und der „Rest“ der Welt teilten sich in Ost und West. Und doch gab es einen über die Grenzen hinaus gemeinsam vertretenen Konsens: Der Schwur „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“

Was ist daraus nach 76 Jahren geworden?

Der Kapitalismus in seiner seit über 30 Jahren ungebremsten neoliberalen Ausprägung erweist sich als fruchtbarer Boden für verschiedene Varianten rechtspopulistischer und neofaschistischer politischer Kräfte, denen der Staat bestenfalls in Sonntagsreden und nur halbherzig entgegentritt. Oder die bereits Regierungsmacht ausüben: in Ungarn, Polen, Brasilien … Oder die im Begriff stehen, den Staat übernehmen zu wollen, wie die Partei von Marine Le Pen in Frankreich. Ihnen streben in Deutschland AfD mit Faschisten wie Björn Höcke, NPD, Identitäre, Der III. Weg, Reichsbürger*innen, Kameradschaften u.a. nach. Aber nicht allein sie sind Multiplikator*innen für die Kriminalisierung von Geflüchteten, für antisemitische, islamfeindliche, sexistische, menschenverachtende, völkisch geprägte Hetze. Die Mitte der Gesellschaft ist erreicht. Nazis, Rassist*innen, Rechtsextremist*innen und Antisemit*innen sind geblieben. Sie hetzen und morden weiter. Beängstigend, wenn „Querdenker*innen“ wieder nach Gaskammern rufen. Dem wird allein oder vorwiegend mit Polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen und auf verfassungsschutzrechtlichen Wegen nicht beizukommen sein, und solange die Linke zu schwach ist, eine Politik gegen Vertrauensverlust, Demokratieschädigung und soziale Angriffe auf die Menschenwürde Vieler und für die Vergesellschaftung von Konzernen durchzusetzen.

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Ich dachte mal, die Welt wird besser. Aber sie wird vorwiegend besser in der Methodik, einander für nichts und wieder nichts die Köpfe einzuschlagen.

                                                                                                                                         Klaus-Maria Brandauer

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Konsequenter und breiter gesellschaftlicher Antifaschismus ist eine Notwendigkeit, heute mehr denn je – nicht abstrakt, sondern vor allem vor Ort. Solange z.B. in gewählten Kreis- und Gemeindevertretungen nicht jede Möglichkeit genutzt wird, dort vertretenen AfD- oder NPD- Leuten gemeinsam über Fraktionsgrenzen hinweg entgegenzuwirken, werden diese Kräfte in der Bevölkerung gestärkt und wird der gefährliche Gewöhnungseffekt, der allerorten zu beobachten ist, befördert. Daraus erwächst eine Mitschuld. So auch die veröffentlichte Meinung der Strasburger Bürgermeisterin, die angesichts wiederholter nazistischer und rassistischer Schmierereien in der Stadt vermutet, die könnten auch Streiche dummer Jungs oder von Linken angebracht worden sein, um Stimmung gegen Rechtsaußen zu schüren … Es benötigt nicht nur, wie in der gegenwärtigen Pandemie, des Desinfizierens der Hände, sondern auch der geistigen Räume.

 Parteien und Politiker*innen werden sich, was zu erwarten ist, in Anbetracht von Corona im beginnenden Bundestags- und Landtagswahlkampf einen Überbietungswettbewerb in Sachen Öffnungsversprechen und –Forderungen liefern. Warum aber nicht in Sachen Kampf gegen das Erstarken nazistischer Kräfte? Und gegen die wachsende Kriegsgefahr?

Kriege hörten seit 76 Jahren nie auf, weil sie nie aufgehört wurden. Kriege brechen nicht aus, sie werden ausgelöst für ökonomische, also Profit- und Machtinteressen. In den vergangenen Jahrzehnten allen voran die USA und ihr militärisch-industrieller Komplex. Auch hier stehen deren aggressivste Vertreter*innen wieder an den Schalthebeln der Macht. Der ehemalige Weltpolizist stellt eine zunehmende Gefahr für den Weltfrieden dar.

Die EU beschloss einen Fonds für Auslands- (sprich Kriegs-) Einsätze und Militärhilfe (Europäische Friedens(!)Fazilität/EFF) in Höhe von 5 Mrd. € mit dem Ziel, das eigene geopolitische Gewicht zu erhöhen. Die Friedensnobelpreisträgerin und Waffenhändlerin EU rüstet sich für mehr Militärinterventionen. Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich für eine europäische Armee aus. Dazu gehören einer Umfrage des Meinungsinstituts Civey von Ende März 2021 zufolge auch 39,6 % der LINKEN, plus 9,1% Unentschiedene.

 

Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören.

                                                                                                                                                        Rosa Luxemburg

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Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen. Auch das ein Schwur vom Ende des Zweiten Weltkrieges. Am 10. April 1990 rief der damalige Bundespräsident Richard von Weizäcker die OECD-Länder auf, ihre Rüstungsausgaben zu verringern. Das politische Gewicht eines Landes hänge „stärker von seiner wirtschaftlichen, technologischen und wissenschaftlichen Fähigkeit ab als von seinem militärischen Potenzial“. Gegenwärtig steigen die Rüstungsausgaben und steigen und steigen. Aktuell liegen sie in der BRD bei 53 Mrd. €. Perspektivisch sollen sie bei etwa 80 Mrd. € liegen. Rüstungswahnsinn für Killerdrohnen, Eurofighter, neue Panzer etc. sowie militärische Infrastruktur, so für panzerfähige Brücken und Straßen. „Damit sich der Westen im Verteidigungsfall auch schnell mit schwerer militärischer Ausrüstung wie Kampfpanzern in Richtung Moskau fortbewegen kann.“ (Die Welt, 16.03.2021) Deutschland will dabei sein beim geplanten Großmanöver der NATO „Defender Europe 21“ in Osteuropa. In diesem Monat sollen 28.000 Soldat*innen den Vormarsch in Richtung Russland üben. Die USA fliegen Truppen ein und entsenden zwei Kriegsschiffe ins Schwarze Meer. Es wird getrommelt, um die Bevölkerung glauben zu machen, Russland wolle oder könne uns oder irgendein NATO-Land angreifen. Die USA wollen aktuell 500 weitere Soldat*innen in Deutschland stationieren – natürlich um Konflikte zu verhindern, zu kämpfen und zu siegen. Die NATO-Rüstungsausgaben betragen fünfmal so viel wie die von Russland und China zusammen. Aber solche Fakten finden keinen Nachhall der Vernunft bei den Regierenden und der Rüstungsindustrie. „Der Spiegel“ vermeldete im April 2021, dass das Militär im Jahr 2020 erneut sein Budget für die Auslandseinsätze (Zwischenfrage: Wie viele sind es eigentlich bereits?) massiv überschritten hat - um 230 Mio. €. Wie in ähnlicher Höhe 2019.

Hinzu treten die unaufhörlichen Waffenexporte. Und die wieder steigende nukleare Gefahr. Inzwischen appellieren 120 Städte der BRD, vier Bundesländer und mehr als 600 Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordnete an die Bundesregierung, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Die jedoch beharrt nach wie vor auf ihrer Blockadehaltung gegenüber diesem wegweisenden Vertrag. Nukleare Teilhabe, die weitere Stationierung von Atomwaffen in Büchel, ist ihr wichtiger als das Sicherheitsbedürfnis der Menschen hier und weltweit. Dem frönen nicht nur die „Großen“, sondern ebenso manch „Kleine“, wie die Strasburger Bürgermeisterin. Sie erklärte mir in einem persönlichen Gespräch: Solange es Staaten gäbe, die die westlichen Werte nicht anerkennen, seien Atomwaffen notwendig.

Die Welt ist viel zu gefährlich, um darin zu leben – nicht wegen der Menschen, die Böses tun, sondern wegen der Menschen, die daneben stehen und sie gewähren lassen.

                                                                                                                                                          Albert Einstein

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In seinem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29.04.2021 zum Klimaschutzgesetz wird bestätigt, dass sich aus dem Grundgesetz ein Recht auf ein sicheres Leben in der Zukunft ableitet. Und in der Gegenwart. Wer auf Fortführung der gegenwärtigen Militärpolitik setzt, fährt die Zukunft an die Wand. Auch deshalb ist Gehorsam in der Demokratie keine Tugend, sondern ein Risiko und eine Gefahr. Und so gilt, die Vergangenheit ist das klügste und wertvollste Buch beim Nachdenken über die Zukunft.

„Nie wieder!“ – wie (allzu) leicht das von den Lippen geht. Hüten wir uns davor, den Schwur zum Lippenbekenntnis verkümmern zu lassen, zur Ignoranz gegenüber der brutalen Wirklichkeit von Militarismus,  Rassismus und Diskriminierung. DIE LINKE darf nicht nur die Folgen der militärischen und militaristischen Politik der Regierenden kennzeichnen, sondern muss die Ursachen herausarbeiten und – vor allem!! – in die öffentlichen (!) Debatten einbringen. Und damit endlich wieder die Systemfrage stellen.

In unserem Landkreis ist Militär stationiert und trainiert seinen Einsatz für Kriege. Welchen Platz wollen wir der „militärischen Macht“ einräumen? Welche Art von Gesellschaft wollen wir? Wer den Frieden will, muss für den Frieden kämpfen. Konkret vor Ort.

Der Frieden, den uns der 8. Mai 1945 gebracht hat, muss erhalten und dort, wo er durch die aggressiven Mächte des Kapitals gebrochen worden ist und gebrochen wird, wiederhergestellt und gestärkt werden. In Anbetracht der historischen Erfahrungen hat dafür das deutsche Volk eine besondere Verantwortung. Und damit wir selbst. Fordern wir von der Bundesregierung, den 8. Mai zu einem gesetzlichen Gedenktag, zu einem öffentlichen Feiertag zu erklären.

Nie wieder?           NIE WIEDER!