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Michael Harcks

2016 lief der Film SNOWDEN vom OSCAR Preisträger Oliver Stone, für mein Empfinden recht unaufgeregt und schwach beworben, durch unsere Kinos- ich hoffe zumindest durch die meisten.

Ich hatte ihn seinerzeit gesehen und hätte mir gewünscht, dass man das in allen Schulen im Sozialkundeunterricht zeigt. Neben mir auch viele andere hätten zudem gewünscht, dass Edward Snowden, wie seinerzeit ernsthaft vorgeschlagen, Ehrendoktor der UNI- Rostock wird. Aber das wird wohl eher Alexej Navalny. Den armen Kerl wollte, wie man uns weiß zu machen versuchte, der russische Geheimdienst ausgerechnet mit dem Gift umbringen, dass wie kein anderes ausschließlich zur russischen Spur führt, was Putin wiederum den zynischen Kommentar entlockte: „Wenn wir ihn umbringen wollten, wäre er jetzt tot.“

Da sind wir also mittendrin im Geheimdienstgeschäft. Spannend ist es allemal, vor allem, wenn neben den Räuberpistolen, die auf allen Seiten erzählt werden, hin und wieder ein Blick in die Realität möglich ist. Die ganzen Stasigeschichten erzählen facettenreich, wie ein „böser“ undemokratische Antagonist „Stasi“ dem guten, demokratischen Geheimdienst als Protagonisten gegenübersteht. Struktur und Funktion des Antagonisten liegen offen gleichsam nackt, wie bei keinem anderen Geheimdienst in der Welt und in der Geschichte vor uns. Das bremst mittlerweile die Spannung gehörig aus, ganz abgesehen davon, dass, da kann man sich drehen und wenden, wie man will, die Adjektive „demokratisch“ und „geheim“ einfach nicht nebeneinander gehören.

Nun also liegt der 29-jährige Lebensbericht eines Agenten der führenden Demokratie vor, endlich mal etwas Neues, das war mir das Geld wert. Ich hatte mich jedoch für ein deutschsprachiges „Mängelexemplar“ direkt aus den USA entschieden, weiß der Teufel, wie das funktioniert, aber ich bekam es zur Hälfte des hiesigen Einheitspreises und nach einem Tag war mein Gewissen auch wieder gut mit mir. Da hatte ich es bereits zur Hälfte gelesen!

Ich wende mich mit meiner Besprechung an ein Publikum, das wohl das Wichtigste über die Ereignisse von 2013 kennt, so erspare ich mir eine lange Einleitung und gebe nun meinen unbestritten subjektiven Eindruck wieder. Den Titel könnte man mit „Ununterbrochene Aufzeichnung“ übersetzen. Sicher haben wir es hier nicht mit „Weltliteratur“ zu tun. Unser Held hat etwas Spannendes, Dramatisches und Weltbewegendes erlebt und getan, deshalb ist das Buch dort am besten, wo es genau hier zur Sache geht.

Die Vorgeschichte, Kapitel 1, interessiert insofern, als dass wir schon gerne wissen wollen, wie sich diese bemerkenswerte Persönlichkeit entwickelt hat, die es ins Zentrum des Weltgeschehens gebracht hatte, die das politisch, ökonomisch, militärisch, wissenschaftlich und kulturell mächtigste Land der Welt so in Aufregung versetzen konnte. Insofern ist das lesenswert, die Geschichte eines Nerds, inselbegabt und schulisch eher faul, der dennoch wie alle „guten Amerikaner“ stolz auf sein Land ist und, und, und,…

Ein gerade mal 18-jähriger Amerikaner erlebt „9-11“. Das macht etwas mit ihm, er wird sich seiner patriotischen Traditionen, die er dann auch, typisch amerikanisch beschreibt, bewusst und meldet sich zum Militärdienst, alterstypisch gleich zu den ganz harten Jungs, denen er weder körperlich noch mental gewachsen ist und folgerichtig scheitert. Ein guter Amerikaner, zumal mit „Gründerväterwurzeln“ wie es uns nicht ohne Stolz wissen lasst, bleibt nicht liegen, er steht auf, besinnt sich auf sein Kernkompetenzen und stellt diese dann seinem Vaterland zur Verfügung. Wenn man so richtig in der Schule nicht klarkam, bei den harten Jungs falsch war, aber ein begnadeter Hacker ist und merkt, dass die IT mittlerweile Bestandteil der eigenen DNA ist, dann kann man dem Vaterland in der Stunde der Gefahr am besten in den Geheimdiensten nützen. Gesagt, getan.

Im Kapitel 2 wird nun, für mich zunehmend lehrreicher, recht glaubwürdig beschrieben, wie man mit Intelligenz, Kompetenz, auch wenn sie ziemlich eingeengt ist aber dort umso tiefer greift, mit ungeheurem, die Umwelt vergessendem Fleiß bzw. Arbeitswut in den mir etwas verwirrend erscheinenden Strukturen der US-Geheimdienste, NSA und CIA, sowie ihrer Subunternehmen vorankommen kann, und zwar ziemlich weit, wie sich zeigte. Da ich dies schreibe, um zum Lesen anzuregen gebe ich bewusst keine Inhalte wieder. Lest das bitte selbst – es lohnt sich!

Wir lernen hier auch, dass halte ich besonders wichtig, aus erster Hand, was IT kann, wozu sie wirklich nützlich ist, wie sie funktioniert und am wichtigsten, wie man sich vor den damit eihergehenden Gefahren schützen kann. Unser Edward macht uns keine Angst davor, er weist uns ein, wie ich das von früher beim Umgang mit Maschinen kenne, ich habe mal Maschinenbauer gelernt. Er erklärt so, dass man es tatsächlich verstehen kann, eigentlich selten bei solchen Typen. Bei mir hat´s geholfen.

Was im ersten Kapitel, wenn überhaupt zu spüren, dann nicht sehr überzeugend, eben nur schwach beschrieben wurde, nämlich wie sich die Moral unseres Edwards entwickelte, kommt im 2 Kapitel dann wesentlich mehr zum Tragen. Wir merken, dass es sich nicht um ein Kunstwerk handelt, sondern um seine Reflexion. Er ist halt kein Literat, sein Bericht lebt von der Dramatik der Realität, somit wird die Geschichte, trotz ihres bekannten Endes zunehmend spannender.

Stichwort Moral: Weil ich mich aus ganz anderer Veranlassung vor längerer Zeit intensiver mit der Theorie der Moralentwicklung, namentlich der von Lawrence Kohlberg (1958) beschäftigt hatte, (könnt Ihr gerne mal googeln) interessierte mich dieser Aspekt besonders und ich fand das Theoretische hier auf anschauliche Weise illustriert. Vielleicht haben sich Edward oder seine Helfenden in der Zeit des Schreibens den alten Kohlberg auch vorgenommen, das täte des Sache jedoch keinen Abbruch. Für mich jedenfalls ist das überaus glaubwürdig und nachvollziehbar wie die Anhäufung einschneidender Erfahrungen in der Praxis US-geheimdienstlicher Tätigkeit seinen Sinneswandel bewirkt.

Dieser menschenverachtende Umgang mit unser aller Daten, das Eindringen in unsere privaten Lebensräume, beschreibt er anhand von zahlreichen erschütternden, bis schockierenden Erlebnissen. Da ist es für mich weniger die Frage, wie Edward zu diesem Wandel kam, „Ein guter Mensch in seinem dunklem Drange, ist sich des rechten Weges wohl bewusst…“ hat uns schon Goethe erklärt. Eher ist wohl die Frage gestattet, was die anderen für Leute sind, die das dort nach wie vor aushalten.

Richtig spannend wird es dann im 3. Kapitel wo die Dramatik der realen Ereignisse für sich selbst spricht. Im Gegensatz zum Anfang, der einfach notwendig ist, weil er halt dazu gehört und zur Mitte, die informativ und lehrreich daherkommt, gut zu lesen ist jedoch alles, kommt jetzt eine richtige Agentengeschichte, wie man sie aus schlechter Literatur kennt. Der Haken ist: Es ist wahr! Und nicht allein, weil wir es unserem Edward einfach nur glauben, da er uns nach 421 Seiten ans Herz gewachsen ist, sondern weil die Amis all das, was hier zum Vorschein kam ohnmächtig hinnehmen mussten und nicht das geringste vom Ablauf der Ereignisse und von den veröffentlichten Schandtaten entkräften konnten. Sie konnten es nicht einmal leugnen.

Unsere sonst gegenüber Putin so forsche Kanzlerin stammelte mit treuem Hundeblick Richtung eines virtuellen US-Präsidenten schielend, fast entschuldigend, den zarten Protest: „Ausspähen unter Freunden geht gar nicht...“ als sie vom lieben Edward erfuhr, dass ihre Mobilfunkkorrespondenz zur Tageslektüre der NSA gehörte. Der US- Botschafter wurde nicht einbestellt, er wurde eingeladen, und zwar zum Dinner bei Frau Merkel.

Entschuldigung: Letzteres steh nicht mehr im Buch das sind meine Assoziationen, die jedoch die Lektüre verursacht hat.

Tut euch den Gefallen und lest es selbst. Das gibt es auch in Bibliotheken und ich kann mein Exemplar auch gerne mal ausleihen.

  

Edward Snowden,  P e r m a n e n t  R e c o r d

Fischer Verlag ISBN:9783596700691