Im Zwiespalt

Michael Harcks

Mein Leben wird immer zwiespältiger. Auf der einen Seite redet und schreibt jeder wie er will, Regierende sowie Schrift- und Tonangebende aus der Medienwelt brauchen sich nicht mehr an das Schuldeutsch oder Hochdeutsch zu halten, so dass Ausdruck und Grammatik zur Nebensache werden.

Das, was Schule lehrt, wird selbst durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten aus Oberflächlichkeit und Schlamperei, mit „Zeitdruck“ entschuldigt, zunichte gemacht. Aus der Politik ist der Abklatsch davon zu hören und zu lesen. Einige finden das sogar schick. Insbesondere dann, wenn es unkorrekt aus dem Englischem übersetzt oder einfach übernommen, bzw. in grauenhafter Weise mit dem Deutschen verquirlt wurde.

Demgegenüber ist unser Sprachgebrauch durch die sehr schmalspurig interpretierte „political correkness“ regelrecht vermint, dass man kaum noch ohne Schaden zu nehmen durch eine 10-minütige freie Rede kommt. Übrigens, sogar unsere „pc – Vorturner*innen“ erwischt das sensible Ohr bzw. Auge bisweilen dabei, wie sie auf ihre selbstverlegten Minen treten.

Sprache lebt heißt es und das entspricht auch meiner Erfahrung dafür bin ich mittlerweile alt genug. Ein schönes Leben ist etwas sich selbst Entwickelndes und nicht etwas Getriebenes. Ich möchte beim sprechen nach wie vor Freude haben, spontan bleiben, Humor behalten, ironisch werden und vom Mainstream abweichen dürfen, weil ich ein lebender Mensch bin. Ich möchte durch meine Sprache als unverwechselbare Persönlichkeit wahrgenommen werden.

Dass ich andere Menschen achte, egal wie sie aussehen, was sie glauben, wie arm oder reich sie sind und in welcher Verfassung sie sich befinden, hat man mich bereits in meiner Kindheit gelehrt. Ich bin in meinem Leben häufig angeeckt bisweilen auch heute noch aber noch nie haben sich Menschen, die anders sind als ich, beklagen müssen, weil ich ihr Anderssein nicht respektierte.

Gewiss ist Sprache ein Teil meines Verhaltens aber eben nicht alles. Wohlgemerkt, ich polemisiere nicht gegen „political correkness“  - keineswegs, ich fasse diesen Begriff aber eher als Verhaltenscodex auf und möchte ihn nicht auf die Sprache reduziert wissen.

Wir nehmen es mehr oder weniger hin, dass Farbige massenweise im Mittelmeer ertrinken, weil sie vor den Auswirkungen des kolonialen und postkolonialen Handelns Europas und Nordamerikas fliehen, einschließlich der von uns zumindest befeuerten, wenn nicht gar angezettelten Bürgerkriege. In den USA, wo der Begriff seinen Ursprung hat, werden von Zeit zu Zeit immer mal wieder Schwarze von Polizisten getötet. Wir konsumieren Produkte, verschiedenster Art, die durch POC einschließlich deren Kinder, weit weg von uns unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt werden, die täglich danach fragen, ob sie am Abend satt werden. In Südamerika werden indigenen Völkern für unsere Avokados buchstäblich das Wasser abgegraben, Rohstoffe für unsere Elektroautos werden zum Teil durch Verwüstung von POC- Lebensräumen beschafft.

Vielleicht könnten wir mit annähendem Eifer, wie wir an unserer Sprache basteln und deren Entwürfe energisch missionieren, dafür sorgen, dass sich da etwas ändert. Das würde jedoch an unseren Lebensstandard gehen. Oder, wenn wir den halten wollen, müssten wir uns an die Superreichen wenden. Das Eine wollen wir nicht, das Andere können wir nicht, da belassen wir es lieber bei der Sprache. Das beruhigt das Gewissen und kostet nichts. Wir fühlen uns gut!

Ich werde mir jedenfalls gestatten, mit der gebotenen Ruhe und Gelassenheit, auch abwartend diesem sprachlichen Trend nur Schritt für Schritt zu folgen. Ich möchte auch gerne mal sehen bzw. lesen, ob und wenn, dann wie, die hyperaktiven, wachsamen und gleichsam strengen Sprachvitalisierenden sich auf eine einigermaßen verständliche und praktikable Form geeinigt haben.

Auf keinen Fall, dass verbitte ich mir, möchte ich diskriminiert werden, weil ich aufgrund meines Alters und möglicherweise auch kognitiver Grenzen nicht ganz Schritt halten kann.